Angeklagt

Sonderermittler zerrt Internet-Hetzer vor Gericht

Staats­anwalt Chris­toph Hebbe­cker ermit­telt gegen die Verbreiter von Hass­kommen­taren im Internet. Mitunter wird er dafür als "Stasi-Hebbe­cker" beschimpft. Doch er ist fest davon über­zeugt, dass seine Arbeit der Meinungs­frei­heit zugute kommt.
Von dpa /

Hasskommentare im Netz werden juristisch verfolgt Hasskommentare im Netz werden juristisch verfolgt
Bild: dpa
Der Moment, für den Staats­anwalt Chris­toph Hebbe­cker arbeitet, kommt am Tag der Haupt­verhand­lung. Der 34-jährige Jurist steht auf und verliest in der sterilen Atmo­sphäre des Gerichts­saals eine Serie von Hass­kommen­taren. Der Ange­klagte hat sie in der Anony­mität des Inter­nets gepostet - in dem Glauben, niemals dafür belangt werden zu können. Doch jetzt verbinden sich die rechten Hetz­parolen mit seinem Namen und Gesicht, und er muss dafür Rechen­schaft ablegen.

Zusammen mit einer Kollegin ist Hebbe­cker seit vergan­genem Jahr für das gemeinsam mit der Landes­anstalt für Medien NRW initi­ierte Projekt "Verfolgen statt nur löschen" zuständig. Das Sonder­dezernat ist bei der 2016 gegrün­deten "Zentral- und Ansprech­stelle Cyber­crime Nord­rhein-West­falen" bei der Staats­anwalt­schaft Köln ange­siedelt. Es verfolgt gravie­rende Fälle poli­tisch moti­vierter Hass­rede im Internet. Der Mord an dem Kasseler Regie­rungs­präsi­denten Walter Lübcke - nach Todes­drohungen im Internet - hat der Ermitt­lungs­arbeit noch einmal eine zusätz­liche Dring­lich­keit verliehen.

Recht auf freie Meinungs­äuße­rung oder Straftat?

Hasskommentare im Netz werden juristisch verfolgt Hasskommentare im Netz werden juristisch verfolgt
Bild: dpa
Das Sonder­dezernat koope­riert mit Medi­enhäu­sern wie dem WDR, RTL und mehreren Zeitungen. Redak­teure dieser Medien zeigen Hass­kommen­tare in einem einfa­chen digi­talen Stan­dard­verfahren an. Sie haben dafür eine spezi­elle Weiter­bildung erhalten, um besser erkennen zu können, was noch vom Recht auf freie Meinungs­äuße­rung gedeckt ist und was eine Straftat sein könnte. Dazu gehören Volks­verhet­zung und Aufrufe zur Bege­hung von Straf­taten.

Die Abwä­gung sei schwierig und habe den Redak­teuren anfangs Probleme bereitet, erzählt Hebbe­cker. Inzwi­schen seien aber viele schon sehr sicher, so dass "in der über­wiegenden Mehr­zahl der gemel­deten Fälle" tatsäch­lich Ermitt­lungs­verfahren einge­leitet würden. Weitere Fälle meldet das Bundesamt für Justiz, das die Einhal­tung des 2017 erlas­senen Netz­werk­durch­setzungs­gesetzes über­wacht.

Dieses Gesetz sieht das Löschen rechts­widriger Inhalte vor. "Aller­dings ist nur Löschen für Straf­verfolger nie zufrie­denstel­lend", sagt Hebbe­cker. "Denn das ist ja so ähnlich, wie wenn ein ertappter Laden­dieb ledig­lich aufge­fordert würde, die gestoh­lene Ware nur wieder zurück­zulegen." Dagegen stellen die Kölner Staats­anwälte den Leit­spruch "Verfolgen statt nur löschen". Die Zahl der Beschul­digten beläuft sich mitt­lerweile auf etwa 80.

Beschul­digte rechnen oft nicht mit Straf­verfol­gung

Sie lassen sich nach Hebbe­ckers Beob­achtung in zwei Gruppen einteilen: Den einen ist gar nicht klar, dass man keines­wegs alles sagen darf, was man will. Die anderen ahnen es zwar, rechnen aber nicht mit einer Verfol­gung. Hebbe­cker: "Ich habe noch keinen einzigen Beschul­digten getroffen, der bei einer Durch­suchungs­maßnahme gesagt hat: "Naja, das musste ja so kommen." Sie sind alle extrem verwun­dert und fragen: 'Was ist denn jetzt los?'"

Die Beschul­digten stammten aus der ganzen Repu­blik, erläu­tert Hebbe­cker. Darunter seien mehr Männer als Frauen, "aber mehr Frauen als ich gedacht hätte". Ältere Männer seien über­reprä­sentiert, was aber auch daran liegen könne, dass sie tenden­ziell weniger gut darüber Bescheid wüssten, wie man im Internet anonym bleiben könne.

So durch­suchte die Staats­anwalt­schaft vor einiger Zeit die Wohnung des Inha­bers eines kleinen Elek­trobe­triebs. Er hatte im Internet zu Gewalt gegen Flücht­linge und Bundes­kanz­lerin Angela Merkel aufge­rufen. "Unrechts­bewusst­sein gleich null", schil­dert Hebbe­cker. Der Mann wurde zu acht Monaten auf Bewäh­rung verur­teilt und ist damit jetzt vorbe­straft.

Auch andere Bundes­länder verstärken juris­tische Verfol­gung

"Stasi-Hebbe­cker" muss er sich dafür im Netz schon mal nennen lassen. Der Sonder­ermittler weist das entschieden zurück. "Kommen­tare wie "Ich mag keine Flücht­linge", "Schiebt sie alle wieder ab" oder "Merkel muss weg" sind für uns in keiner Weise rele­vant", betont er. Es gehe ausschließ­lich um radi­kale Aufrufe zu Hass und Gewalt. "Ein Eingriff in die Meinungs­frei­heit ist es doch wohl eher, wenn ganze Kommen­tarspalten abge­schaltet werden müssen, weil die Redak­teure die Löschung der Hass­kommen­tare einzeln nicht mehr bewäl­tigen können." Woher der Hass kommt? Das ist eine Frage, die auch Hebbe­cker beschäf­tigt. Eine Antwort hat er bisher nicht gefunden.

Nord­rhein-West­falen ist nicht das einzige Bundes­land, das zurzeit gegen das Phänomen Hate­speech aufrüstet: So baut Hessen zusätz­liche Stellen dafür bei seiner Zentral­stelle zur Bekämp­fung von Inter­netkri­mina­lität (ZIK) auf. In Bayern sollen Medi­enun­ternehmen spätes­tens vom Herbst an leichter Straf­anzeige wegen Hass­postings erstatten können. Justiz­minister Georg Eisen­reich (CSU) formu­lierte dafür als neue Leit­linie: "Erst anzeigen, dann löschen!"