Chip-Netztest: o2 macht den größten Schritt nach vorn
In den vergangenen Monaten wurde die Qualität der deutschen Mobilfunknetze kontrovers diskutiert. Immer wieder gerieten Telekom, Vodafone und o2 in die Schlagzeilen, da der Netzausbau weit hinter dem in anderen europäischen Ländern zurückbleibe. Bis die wieder einmal angekündigten Gegenmaßnahmen greifen, geht noch einige Zeit ins Land, zumal die Genehmigungsverfahren für neue Funkmasten oft viele Monate lang dauern.
Doch wie schneiden die deutschen Handynetze jetzt ab? Das hat die Redaktion der Fachzeitschrift Chip in Zusammenarbeit mit Net Check im Netztest 2020 ermittelt. Dabei haben die Tester einmal mehr nicht nur auf eigene Ergebnisse, sondern auch auf Crowdsourcing-Tests zurückgegriffen. Über einen Zeitraum von 20 Wochen wurden den Angaben von Chip zufolge Daten von fast 2,4 Millionen Smartphones ausgewertet.
Mehr als 9000 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt
Für den Netztest wurden mehr als 9000 Kilometer zurückgelegt
Foto: Chip
Net Check selbst hat mit dem Auto 9270 Kilometer zurückgelegt. Dazu kamen 1950 Kilometer mit dem Zug und 73 Stunden, in denen Innenstädte zu Fuß besucht wurden. Neben fünf Metropolen hat Net Check für den Chip-Netztest auch zehn Großstädte und 20 Kleinstädte besucht, um die Netzverfügbarkeit sowie die Qualität von Telefonaten sowie dem mobilen Internet-Zugang zu untersuchen.
Als Testgeräte kamen insgesamt 27 Exemplare des Samsung Galaxy S9 zum Einsatz, die mit Testequipment von Rohde & Schwarz verbunden waren. Das Ergebnis des Chip-Netztests: Die deutschen Mobilfunknetze sind gut, haben aber Ausbaubedarf. Vor allem in den Zügen der Deutschen Bahn AG hätten sich im Vergleich zum vergangenen Jahr deutliche Verbesserungen ergeben.
o2 steigert sich in der Gesamtwertung am deutlichsten
In allen Netzen haben sich Verbesserungen gegenüber dem Netztest vor einem Jahr ergeben. Am meisten profitieren davon die Kunden im Telefónica-Netz, das sich um 5,59 Prozent verbessert hat. Im Vodafone-Netz liegt die Steigerung bei 2,41 Prozent, im Telekom-Netz bei 2,40 Prozent. Bei o2 dürften die weitgehend abgeschlossene Netzzusammenlegung und der forcierte LTE-Ausbau für das gute Ergebnis verantwortlich sein.
Betrachtet man die Steigerung der Netzqualität gegenüber dem Vorjahr speziell in den Fernzügen der Bahn, so machte die Telekom dem Test zufolge mit 22,03 Prozent den größten Sprung nach vorne. Vodafone verbesserte sein Netz an den Strecken der Fernzüge um 16,27 Prozent, während o2 sich hier nur um 13,49 Prozent verbessern konnte.
Zwei Sieger bei der Telefonie
Wenn es um Telefonate mit dem Smartphone geht, greifen immer mehr Nutzer neben dem klassischen Weg, zu dem auch Voice over LTE (VoLTE) zählt, auch auf reine VoIP-Dienste wie WhatsApp Call zurück. So wurde diese Disziplin eigens in den Chip-Netztest mit aufgenommen. VoIP-Verbindungen sind im Zweifel anfälliger als etwa VoLTE, da es sich aus Sicht des Netzes um Datenpakete handelt, die wie jeder andere Internet-Verkehr behandelt werden, während für klassische Anrufe Bandbreite reserviert wird.
Bei VoLTE-Verbindungen hatte im Test das Telekom-Netz die Nase vorn. Bei den Bonnern lag der Anteil fehlgeschlagener Gespräche bei nur 0,53 Prozent. Fast auf Augenhöhe mit der Telekom liegt Vodafone mit 0,53 Prozent, während o2 mit 1,24 Prozent schon einen etwas größeren Abstand hat. Beim WhatsApp Call liegt Vodafone mit einem Anteil von 3,36 Prozent nicht zustande gekommener Verbindungen vorne. Es folgen Telekom mit 4,06 Prozent und o2 mit 6,13 Prozent.
Klassische Telefonate klingen besser als WhatsApp Calls
Im Test wurde auch die Sprachqualität beurteilt. Dabei geht die Telekom mit 4,49 Punkten bei klassischen Anrufen und 4,26 Punkten bei WhatsApp Call als Sieger hervor. Es folgt Vodafone mit ebenfalls 4,49 Punkten bei klassischen Verbindungen und 4,24 Punkten bei WhatsApp Call. o2 ist nur auf dem dritten Platz mit 4,34 bzw. 4,14 Punkten. Insgesamt ist der Abstand zwischen den drei Netzen also recht klein und die klassische Telefonie ist erwartungsgemäß zuverlässiger als eine VoIP-Verbindung.
Ein weiteres Ergebnis des Netztests: Der Verbindungsaufbau für Telefongespräche war im Vodafone-Netz am schnellsten. Auf Autobahnen und Landstraßen war die Verbindung im Schnitt innerhalb von 4,15 Sekunden hergestellt. Die Telekom ist mit einer Verbindungsaufbauzeit von 4,27 Sekunden kaum langsamer, während Telefónica schon einen größeren Abstand aufweist. Im o2-Netz nahm der Verbindungsaufbau durchschnittlich 5,73 Sekunden in Anspruch.
o2 machte den größten Sprung nach vorne
Foto: Chip
Telekom beim mobilen Internet vorne
Geht es um die mobile Internet-Nutzung, so liegt das Netz der Deutschen Telekom vorne. Zehn Prozent aller Downloads in Städten waren im Test langsamer als 21,81 MBit/s. Vodafone erreichte mit 11,10 MBit/s nur gut die Hälfte dieses Werts. Das Telefónica-Netz war mit 4,51 MBit/s nochmals etwas schlechter. Der gleiche Test wurde auch auf Autobahnen und Landstraßen durchgeführt. Hier lag die Telekom bei 6,99 MBit/s, Vodafone bei 3,96 MBit/s und o2 bei 2,36 MBit/s.
Im Netztest wurde auch die mittlere Transferrate bei der mobilen Internet-Nutzung im Downstream ermittelt. Hier lag der Wert für die Deutsche Telekom bei 71,85 MBit/s. Im Vodafone-Netz wurden 59,29 MBit/s gemessen und Telefónica folgt mit noch deutlicherem Abstand und 32,10 MBit/s auf dem dritten Platz. Beim Aufruf von Testwebseiten überzeugten Telekom und Vodafone mit einer Erfolgsquote von 99,45 bzw. 99,15 Prozent. o2 hat mit 97,51 Prozent schon einen etwas größeren Abstand.
Härtetest: YouTube-Video im ICE
Bei der Wiedergabe von YouTube-Videos im ICE der Deutschen Bahn konnten alle drei Netzbetreiber nicht wirklich überzeugen. Im Netz der Deutschen Telekom gab es bei 20,65 Prozent aller Streams sichtbare Fehler bei der Wiedergabe. Vodafone folgt mit 22,35 Prozent auf dem zweiten Platz, Telefónica liegt mit 24,11 Prozent auf Rang 3. Insgesamt war die Wiedergabe von YouTube-Videos im Telekom-Netz in 99,32 Prozent aller Fälle erfolgreich. Im Vodafone-Netz kamen die Tester auf eine Erfolgsquote von 98,50 Prozent, im o2-Netz auf 96,71 Prozent.
Ebenfalls getestet wurde der Foto-Upload auf Facebook, also eine Anwendung, wo es auf den Upstream des mobilen Internet-Zugangs ankommt. 99,67 Prozent aller Versuche im Telekom-Netz waren erfolgreich. Vodafone und o2 folgen mit 99,63 bzw. 98,12 Prozent. Mit 4,55 Sekunden war Vodafone in dieser Disziplin etwas schneller als das Telekom- und o2-Netz (4,62 bzw. 4,80 Sekunden).
Netzverfügbarkeit: Wichtige Daten via Crowdsourcing
Wenn es um die Netzverfügbarkeit geht, wurde verstärkt auf die Crowdsourcing-Daten zurückgegriffen. Schließlich sind die Smartphone-Besitzer, die sich mit der Nutzung ihrer Daten einverstanden erklärt haben, fast überall in Deutschland unterwegs. Das kann die Test-Redaktion naturgemäß nicht im gleichen Umfang leisten. Die LTE-Verfügbarkeit lag im Telekom-Netz bei 93,34 Prozent. Vodafone hat mit 86,09 Prozent einen deutlichen Abstand, o2 folgt mit 75,87 Prozent auf dem dritten Platz.
Kombiniert man LTE mit UMTS, sodass der Wert für die Verfügbarkeit des mobilen Internet-Zugangs ermittelt wird, so zeigt sich, dass 3G nach wie vor in allen Netzen einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, um mobiles Breitband-Internet in die Fläche zu bringen. So steigt die Verfügbarkeit im Telekom-Netz auf 97,21 Prozent, im Vodafone-Netz auf 97,22 Prozent und im o2-Netz auf 90,47 Prozent.
Kein Netz verfügbar war im Telekom-Netz in 0,48 Prozent aller Fälle. Das Vodafone-Netz war in 0,68 Prozent aller Fälle nicht verfügbar, Telefónica glänzte zu 0,86 Prozent mit Abwesenheit. Zumindest die Basisversorgung für Telefonie und SMS über GSM ist in Deutschland demnach gar nicht so schlecht. Defizite gibt es vor allem dann, wenn auch der mobile Internet-Zugang über LTE und UMTS genutzt werden soll.
LTE-Versorgungslücken im Südwesten
Foto: Chip
Telekom ist Gesamtsieger
In die Gesamtwertung flossen der Internet-Zugang mit 56 Prozent, die Telefonie mit 32 Prozent und die Netzverfügbarkeit mit zwölf Prozent ein. Dabei kam die Telekom auf die Note 1,3, dicht gefolgt von Vodafone mit 1,5, während o2 mit der Note 2,3 schon einen deutlicheren Abstand hat. Dabei weist vor allem die Netzverfügbarkeit bei Telefónica noch große Defizite auf. Das betrifft vor allem ländliche Regionen, während die Münchner in Städten und Ballungsgebieten mit Telekom und Vodafone durchaus mithalten können.
In einer weiteren Meldung lesen Sie, welchen Eindruck die deutschen Netze im Test des Smartphone Magazins hinterlassen haben.