Abgestürzt

Editorial: Die neue Zockerwährung

Bitcoin zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Von

Ende der vergangenen Woche war es dann so weit: Der Kurs des Bitcoin, der in den Monaten zuvor unaufhaltsam exponentiell gestiegen war, rauschte schlagartig in die Tiefe. Wurden am 10. April noch über 177 Euro pro BTC gezahlt, waren es am 16. April nur mehr unter 60 Euro. Am 19. April wurden vormittags dann wieder etliche Trades im Bereich zwischen 100 und 110 Euro vermeldet, doch auch hier folgte bis mittags der nächste Absturz auf unter 90 Euro.

Editorial: Die neue Zockerwährung Bitcoin: Die neue Zockerwährung
Bild: ulifunke.com / bitcoin.de
Als Initialauslöser des Absturzes wird oft ein Ausfall einer wichtigen Bitcoin-Handelsplattform wegen Überlastung genannt. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Ausfall nicht eher Symptom denn Ursache war: Sobald der Kurs ins Rutschen gekommen war, versuchten vermutlich zahlreiche Händler, ihre Bitcoin-Bestände noch schnell in stabilere Währungen wie Dollar oder Euro zu tauschen, belasteten dadurch die Handelssysteme zusätzlich und verstärkten den Bitcoin-Absturz.

Wäre es wahr, dass der Bitcoin-Absturz durch den Ausfall eines Handelssystems verursacht wurde, würde dieses zudem den Verdacht verstärken, dass es sich beim Bitcoin um eine reine Zockerwährung handelt. Bei einer Substanzwährung gibt es doch keine Panikverkäufe, nur, weil kurzzeitig mal eine Handelsplattform ausfällt. Dann tauscht man halt später um. Beispiel Zypern: Die Banken waren nicht nur ein paar Stunden, sondern mehrere Tage geschlossen, und die große Panik blieb dennoch aus.

Als Handels-Währung ungeeignet

Von Bitcoin-Enthusiasten wird immer wieder angeführt, dass es erste Anbieter gibt, die digitale Dienstleistungen in Bitcoins anbieten. Das mag stimmen. Doch Internet-Schwergewichte wie Google, eBay oder Amazon würden sich aktuell hüten, ihre Waren und Dienstleistungen in einer so volatilen Währung wie Bitcoin anzubieten. Wenn der Kurs binnen Stunden um 20 Prozent schwankt, dann müssten die Preise bald minütlich angepasst werden. Kunden würden sich aber bedanken, wenn sich beim Online-Shopping die Preise des ersten Produkts, das man in den Warenkorb gelegt hat, ändern, während man das zweite Produkt sucht.

Eine Währung, egal, ob Euro, Dollar, Renminbi Yuan, Gold oder Bitcoin, ist nunmal genauso stark und stabil, wie das Vertrauen ihrer Nutzer, auch künftig für in dieser Währung angelegte Gelder einen entsprechenden Gegenwert zu bekommen. Man steckt sich nicht heute einen Euroschein in den Geldbeutel, wenn man sich nicht sicher ist, morgen dafür Brötchen beim Bäcker kaufen zu können. Und man kauft keine langjährigen Staatsanleihen, wenn man nicht erwartet, das Geld nach deren Ablauf samt Zinsen wiederzusehen, und sich auch dann dafür was leisten zu können.

Bitcoins stehen somit vor einem drastischen Henne-Ei-Problem: So lange es keinen starken Handel von echten Waren und Dienstleistungen in Bitcoins gibt (und nicht nur einen Handel mit Bitcoins, wo die einzige Motivation die Hoffnung auf Kursgewinne ist), haben auch künftig die Zocker das Sagen. Und so lange die Zocker das Sagen haben, wird es keinen starken Handel geben.

Da hinter Bitcoins keine echten Werte stehen, sondern rein abstrakte Bitfolgen, die bei einem Mining-Prozess unter immensem Rechenaufwand quasi ausgewürfelt werden, droht sogar der Totalverlust: Genauso, wie der aktuelle Bitcoin 1.0 lediglich eine Konvention ist, die von ausreichend vielen Lobbyisten durchgedrückt wurde, kann auch ein Nachfolger-Bitcoin 2.0 (vielleicht unter dem neuen Namen Netnugget) von ausreichend vielen Lobbyisten etabliert werden. Je mehr Nutzer mit Bitcoin 1.0 unzufrieden sind, ob wegen der hohen Volatilität, einer möglichen Kompromittierung der verwendeten Krypto-Verfahren (SHA256) oder der zunehmenden staatlichen Kontrolle, desto höher steigt die Gefahr, dass das Upgrade auf 2.0 erfolgt. Wer dann nicht rechtzeitig um- oder aussteigt, bleibt auf digitalem Datenmüll sitzen, den er sich als Andenken auf eine SD-Karte speichern kann, genauso, wie zahlreiche Leute heute noch Billionen-Mark-Scheine aus der Zeit der Hyperinflation horten.

Es ist auch mitnichten so, dass beim Mining entstandene Bitcoins besonders "schöne" Zahlen darstellen würden, die schon für sich einen abstrakten mathematischen Wert hätten. Es sind einfach Werte, die für den Zeitpunkt, zu dem sie erzeugt worden sind, "schön genug" waren, sodass die Wahrscheinlichkeit, einen zu finden, ausreichend klein war, um die Produktionsrate in den gewünschten Zielbereich zu bekommen. Mitnichten ist also die Zahl von "maximal 21 Millionen Bitcoins", die immer wieder genannt wird, im Bitcoin-System unveränderlich festgeschrieben. Denkbar ist somit auch ein Update innerhalb des Bitcoin-Systems, z.B. auf Version 1.1, bei dem die maximale Zahl an Coins oder die Produktionsrate stark verändert wird.

Letztendlich ist der Bitcoin bezüglich der Gefahr der Entwertung keinen Deut besser als herkömmliche Währungen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Bitcoin auch die Versprechen bezüglich Anonymität und Sicherheit nicht erfüllt.

Weitere Editorials