Musterland Schweiz: Darum sind die 4G-Handynetze so gut
Regelmäßig hören wir aus der Schweiz, es sei das Traumland des Mobilfunks, wo Mobilfunk-Versorgung kein Thema ist, weil sie einfach existiert. Das Mobilfunk-Marktforschungs-Unternehmen Opensignal hat sich die Schweiz genauer angeschaut und bestätigt, dass die Schweiz "eine große Erfahrung mit Mobilfunk" hat, ja "die Schweiz hält eine starke Position unter den weltweiten Marktführern, was Netzausbau anbetrifft". Schweiz-Reisende können das regelmäßig bestätigen.
Schweiz: Drei Netze
Die Schnelligkeit der Datenverbindung ist von der Frequenznutzung abhängig. Hier liegt Swisscom mit viel hohen Frequenzen vorne.
Grafik: Opensignal.com
Opensignal, als Mobilfunk-Forschungsinstitut, ist tiefer in die Materie eingestiegen und hat sich alle drei Netze in der Schweiz genauer angeschaut. Dazu wurden Messdaten aus der realen Welt verwendet, wobei sich Opensignal nur die LTE(4G)-Versorgung des jeweiligen Netzes angeschaut hat. Das Ergebnis: "Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen den 4G-Frequenzen und den erzielbaren Download-Geschwindigkeiten."
Drei Netzbetreiber sind in der Schweiz aktiv: Zum einen der Marktführer Swisscom, der den Begriff "NATEL" für das Mobiltelefon geprägt hat. Das Wort "NATEL" ist in der Schweiz so geläufig, wie "Tempo" für Papiertaschentücher hierzulande. Der Netzbetreiber Sunrise (einst als diAx gestartet), der zu einem gewissen Anteil der deutschen Freenet-Gruppe gehört. Und der dritte Netzbetreiber Salt, der erst vor kurzem nach einem Besitzerwechsel von Orange Schweiz in Salt umbenannt wurde.
Alle Netze sind schneller als 30 MBit/s
In seinem aktuellen Bericht zur Lage der Schweiz hat Opensignal die Netze analysiert und festgetellt, dass Nutzer aller drei Anbieter bei 4G-Geschwindigkeiten über 30 MBit/s erreichen können. Wo liegen die Unterschiede zwischen diesen Anbietern, hinsichtlich der Geschwindigkeit?
Um das zu verstehen, hat sich Opensignal das Frequenzspektrum der drei Netze angeschaut. Sie beobachteten einen höheren Datendurchsatz in Netzen, die mehr Funkzellen auf höheren Frequenzen haben. Das ist logisch, denn auf hohen Frequenzen gibt es mehr Bandbreite, ergo ist mehr Geschwindigkeit möglich. Der Nachteil: Höhere Frequenzen haben eine geringere Reichweite, man braucht also mehr Sendestationen.
Weniger als 20 Prozent unter 10 MBit/s
Bei der Analyse der Geschwindigkeiten fand Opensignal heraus, das weniger als 20 Prozent der betrachteten Nutzer mit Geschwindigkeiten unter 10 MBit/s vorlieb nehmen mussten. Bei der Swisscom waren es 15 Prozent, bei Salt 16 Prozent und bei Sunrise 19 Prozent. Auf der anderen Seite freuen sich 70 Prozent der Nutzer über Geschwindigkeiten oberhalb von 20 MBit/s bei der Swisscom, ein Drittel der Nutzer sind sogar schneller als 50 MBit/s unterwegs.
Salt und Sunrise waren nahe am Marktführer mit 65 Prozent bzw. 63 Prozent der Nutzer, die sich über Download-Geschwindigkeiten oberhalb von 20 MBit/s freuen konnten. Salt und Sunrise hatten eine größere Konzentration auf Geschwindigkeiten zwischen 20 und 50 MBit/s, mit jeweils 40 bzw. 37 Prozent der Nutzer, insgesamt mindestens drei Prozent mehr als bei Swisscom.
Der Trick: Möglichst hohe Frequenzen
Über alles hat Swisscom das "schnellste" Netz in der Schweiz.
Grafik: Opensignal.com
Um die hohen Durchschnitts-Geschwindigkeiten bei 4G in der Schweiz zu erklären, hat sich Opensignal die Frequenzbänder pro Anbieter näher angeschaut. Wie schon erwähnt, spielen sie eine Schlüsselrolle bei der vom Nutzer gefühlten Netzqualität. Niedrige Frequenzen (z.B. bei 800/900 MHz) erlauben eine starke Basis für ein Netz, weil die Reichweite höher ist und besser in Gebäude eindringen kann. Sie sind somit für ländliche und stadtnahe Regionen ideal geeignet.
Mittleres und höheres Spektrum (z.B. 1800, 2100 oder 2600 MHz) sind ideal für Zonen mit größere Nachfrage, speziell in dicht besiedelten Regionen, wie Stadtzentren, Einkaufszentren, Flughäfen und so weiter.
Man kann sich das auf verschiedene Arten vorstellen. Man könnte den Anteil der Datenmenge pro Zelle über jedes Frequenzband anschauen oder das komplette Netz pro Frequenz oder den Anteil der Nutzerzeit, den sie auf den jeweiligen Frequenz verbracht haben. Opensignal greift dabei auf seine mit der App erfassten Daten aus der realen Welt zurück und sieht, dass es bei den Netzanbietern unterschiedliche Strategien gibt.
So scheint sich Swisscom weitgehend auf die mittleren und höheren Frequenzen zu verlassen, wobei 50 Prozent der Zellen auf 1800 MHz und höher funken.
Opensignal fand heraus, dass Sunrise den größten Teil seines 4G-Netzes auf Frequenzen unterhalb von 1 GHz ausgerollt hat, mindestens 40 Prozent der Zellen senden auf 800 oder 900 MHz. Der stärkere Einsatz von niedrigen Frequenzen hatte zur Folge, dass Sunrise den 4G-Verfügbarkeits-Preis gewann, aber in Punkte Download-Speed zurück blieb.
In der Zwischenzeit haben Salt and Swisscom 34 bzw. 27 Prozent ihrer Funkzellen auf Frequenzen unter 1 GHz aufgebaut.
Ideale Frequenz: 1800 MHz
Schaut man sich die Frequenzen bei 1800 MHz mit höherer Kapazität an, laufen mehr als 50 Prozent der Zellen im Salt-Netzwerk auf 1800 MHz, bei Sunrise sind es 44 Prozent und bei Swisscom funken 38 Prozent auf diesem Band. Das 1800-MHz-Band trifft eine gute Balance zwischen Reichweite und Kapazität, verglichen mit den anderen Extremen oberhalb von 2 GHz oder unterhalb von 1 GHz. In Sachen Geschwindigkeit sind Frequenzen oberhalb von 2 GHz eine Art "Game-Changer". Sie helfen über größere Entfernungen nicht, dafür aber in dicht besiedelten Regionen.
35 Prozent der Swisscom-Zellen funken auf 2100 und auf 2600 MHz. Das erklärt, warum 36 Prozent der Swisscom-Kunden bei 4G Download-Geschwindigkeiten oberhalb von 50 MBit/s erzielen können. Das habe zweifelsfrei der Swisscom geholfen, den "Download Speed Experience Award" von Open Signal im aktuellen Bericht zu gewinnen.
Weniger als 15 Prozent der Funkzellen von Salt und Sunrise übertragen Daten auf den höheren Frequenzen.
Musterland Schweiz
Die Schweiz ist ein relativ kleines Land mit einer hohen Bevölkerungsdichte, die sich auf eine Handvoll städtischer Regionen ("Agglomerationen") konzentriert. Nur 26 Prozent der Bewohner leben in den bergigen Regionen. Trotzdem haben es die Netzbetreiber geschafft, ihre Kunden mit einem "state-of-the-art" (Stand der Technik) Netz zu versorgen.
Für die Zukunft sei die Schweiz gut gerüstet, findet Opensignal. Die Schweizer Kommunikations-Kommission (ComCom) hat bekanntlich eine große Menge von 5G-kompatiblen Frequenzen bei 700, 1400 und 3500 MHz versteigert. Zwei Netzbetreiber haben bereits 5G an mehr als 250 Stationen mit 4G und 5G kombiniert, die Schweiz sei also gerade dabei, die Erfolge bei 4G mit 5G zu wiederholen, sagt Opensignal voraus.
Wer ist Opensignal?
Seit Februar 2019 schreibt sich das Unternehmen Opensignal (früher OpenSignal). Es ist eine Firma, die sich mit technischer Marktforschung im Mobilfunk beschäftigt. Sie sieht sich als unabhängiger weltweiter Standard, um mobile Netze anhand der realen Nutzererfahrung zu verstehen. Für ihre regelmäßigen Berichte oder Studien ("Reports") messen sie jedes größere Mobilfunknetz weltweit.
Die Messdaten werden über die Opensignal-App gewonnen, die es für Android und iOS gibt.